Fallbeispiel: Alexandra

Seit Wochen fühlt sich Alexandra wie eine restlos ausgepresste Zitrone: gerade mal gut genug für den Mülleimer! Dennoch schleppt sie sich jeden Morgen zur Arbeit bei einem mittelständigen deutschen Pharmaunternehmen, wo sie als Marketingmanagerin fest angestellt ist. Immerhin.

Völlig erschöpft

Im Laufe der vorausgegangen Monate hatte die Arbeitsbelastung sehr zugenommen. Die Verantwortung für ein Budget in Höhe von mehreren Millionen Euro im Jahr, ein anspruchsvoller Vorgesetzter, hohe Zielvorgaben im Business-Plan, häufige Reisen im In- und Ausland, der Besuch von Fachkongressen oft an Wochenenden, Führungsaufgaben, die Kommunikation mit anderen Abteilungen, externen Agenturen, Kunden oder Lieferanten, interne und externe Meetings, die Interaktion mit Experten in Kliniken und Arztpraxen, all diese Aufgaben haben deutliche Spuren hinterlassen, sowohl in ihrem äußeren Erscheinungsbild als auch in ihrer seelischen Verfassung.

Chaos im Kopf

In ihrem Kopf herrscht nur noch Chaos. Sie ist fahrig und kann sich nicht mehr konzentrieren. Nur mit großer Mühe kann sie ihre Aufmerksamkeit auf eine bestimmte Sache richten. Ihr Selbstwertgefühl ist inzwischen auf den Nullpunkt gesunken, die Freude an der Arbeit ganz verschwunden. Selbst für Freizeitaktivitäten ist Alexandra viel zu erschöpft. Daher vernachlässigt sie auch ihren Freundeskreis und sieht nur ihre Arbeit. Das Gefühl innerer Anspannung ist bis ins Unerträgliche angestiegen. Es gab Zeiten, da dachte Alexandra, die Spannung würde sie zerreißen. An Schlaf ist kaum zu denken, und wenn sie einmal ein paar Stunden Ruhe findet, wacht sie wie gerädert wieder auf. Für ihren aktuellen Zustand gibt sie sich selbst die Schuld. Wäre es möglich, die eigenen Schuldgefühle vielleicht unter noch mehr Arbeit verschwinden zu lassen? Vielleicht sollte sie sich einfach zusammenreißen, sich noch stärker engagieren und noch mehr geben? Über psychische Erschöpfung, Burnout und Depression hatte sie schon einiges gelesen, aber sie dachte, so etwas würde immer nur die anderen treffen. Daher fragte sie sich ernsthaft, ob sie wirklich wegen ihrer Situation irgendeine Art von Hilfe in Anspruch nehmen sollte. Wegen einer bloßen Störung ihrer Befindlichkeit? Wegen psychischer Überlastung? Oder wegen einer Modediagnose? Schließlich hat Alexandra sich schonungslos ihre eigene Situation vor Augen geführt. Sehr schnell wurde ihr klar: „So kann es nicht weitergehen. Ich muss etwas verändern, sonst gehe ich kaputt!“

Wege aus der Krise

Viele Fragen drängten sich auf: Was stört mich an meiner jetzigen Situation? Welche meiner Bedürfnisse werden frustriert? Wie finde ich einen Weg aus der gegenwärtigen Situation? Wird es mir jemals wieder gut gehen? Wen interessiert das überhaupt? Bin ich nicht allen egal? Alexandra hat sich überlegt, wie es für sie weitergehen kann, welche Möglichkeiten sie hat und was sie überhaupt will. Sehr schnell kam sie darauf, was sie verändern kann und was nicht. Dabei war ihr vollkommen klar, dass jede Veränderung einen Preis hat. Entscheidend war ihre Bereitschaft, den Preis für die Veränderung zu zahlen. Um aus der Krise herauszukommen, war ihr so gut wie jeder Preis recht. Alexandra hat nicht versucht, allein aus der Krise zu kommen, sondern hat sich anderen Menschen anvertraut. Sie hat das Gespräch mit Menschen aus ihrem Umfeld gesucht, zuerst mit engen Familienangehörigen, dann mit Freundinnen und Freunden, schließlich mit einer Arbeitskollegin, die an demselben Tag ihre Arbeit bei dem Pharmaunternehmen aufgenommen hatte und zu der sie ein besonders enges Vertrauensverhältnis hatte. Mit diesen Menschen aus ihrem unmittelbaren Umfeld konnte Alexandra über ihre Situation sprechen, über ihre Schlaflosigkeit, über die Stressbelastung und darüber, dass ihre Energiereserven völlig aufgebraucht waren.

Rückhalt durch andere

Der Rückhalt, den sie bei ihrer Familie und ihren Freunden fand, hat ihr so viel Selbstbewusstsein zurückgegeben, dass sie sich eines Tages getraut hat, das Gespräch mit ihrem Vorgesetzten zu suchen. Alexandra war überrascht, wie viel Verständnis er für ihre Situation hatte. Sie kamen zu der Übereinkunft, dass Alexandra sich auf die beiden Marketingprojekte konzentrieren sollte, die momentan für das Unternehmen die wichtigsten waren. Zwei andere Projekte wurden aufgeschoben, und ein nachrangiges Projekt, das keinen unmittelbaren Produktbezug hatte, wurde an einen Marketingassistenten gegeben, der erst vor vier Wochen seine Tätigkeit in dem Unternehmen aufgenommen hatte. Alexandras Chef sicherte ihr zu, dass er den Assistenten mit dem Projekt direkt betrauen würde, um sie zu entlasten. Die hohen Zielvorgaben im Business-Plan sind zwar die gleichen geblieben, aber die Verantwortung für ihr Marketingbudget teilt sie mit ihrem Vorgesetzten. Mehrere der im nächsten Quartal vorgesehenen Auslandsreisen hat sie an eine jüngere Mitarbeiterin delegiert. Auch die Kommunikation mit anderen Abteilungen, externen Agenturen, Kunden und Lieferanten hat sie delegiert. Eine Reihe interner und externer Meetings hat sie einfach abgesagt. Als Begründung gab sie personelle Engpässe an. So konnte sie sich ganz auf ihre Kernaufgaben konzentrieren, nämlich auf die Interaktion mit Experten in Kliniken und Arztpraxen im gesamten Bundesgebiet.

Zurück in den Alltag

Alexandra hat das Chaos in ihrem Kopf inzwischen geordnet. Sie kann ihre Aufmerksamkeit viel besser auf eine bestimmte Sache richten. Sie ist konzentrierter und hat den Kopf frei, ihre sozialen Beziehungen zu pflegen. Den Kontakt zu ihrem Freundeskreis hat sie intensiviert. Für jedes Wochenende hat sie ganz bewusst genügend Zeit für mindestens eine Verabredung eingeplant. Das Gefühl innerer Anspannung ist einer Ausgeglichenheit gewichen. Freunde sagen ihr, dass sie sehr viel fröhlicher und zufriedener wirke als vor ein paar Monaten. Und nachts schläft Alexandra wieder gut. Sie hat das Gefühl, dass sie in einer ganz auf sie zugeschnittenen neuen Arbeitswelt tätig ist, immer noch als Marketingmanagerin bei dem mittelständigen deutschen Pharmaunternehmen, aber mit wiedererlangtem Selbstbewusstsein.

 

Heute geht es ihr gut. Sie hat einen Weg aus der Krise gefunden. Das ist ihr ganz persönlicher Erfolg. Und darauf ist sie stolz.